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Bounded Rationality Theory im Marketing professionell erklärt

    Die Bounded Rationality Theory („begrenztes rationales Verhalten“) wurde von dem amerikanischen Wirtschaftswissenschaftler Herbert A. Simon entwickelt und beschreibt die Art und Weise, wie Menschen Entscheidungen treffen, wenn sie mit Unsicherheit und komplexen Informationen konfrontiert sind. Sie geht davon aus, dass Menschen nicht immer in der Lage sind, alle relevanten Informationen zu verarbeiten und eine optimale Entscheidung zu treffen, sondern stattdessen auf vereinfachte Entscheidungsprozesse zurückgreifen.

    Diese vereinfachten Entscheidungsstrategien basieren oft auf Heuristiken und sind durch begrenzte kognitive Ressourcen, unvollständige Informationen und Zeitdruck geprägt.

    Für Unternehmen, insbesondere im Marketing und Vertrieb, ist es entscheidend, die Bounded Rationality Theory zu verstehen, da sie erklärt, warum Konsumenten nicht immer rational entscheiden. Stattdessen orientieren sie sich oft an Vereinfachungen und mentalen Abkürzungen, die durch ihre begrenzte kognitive Kapazität beeinflusst werden.

    Die Bounded Rationality Theory beruht auf der Annahme bzw. auch der Erkenntnis, dass der menschliche Entscheidungsprozess durch verschiedene Faktoren limitiert ist, darunter:

    • Begrenzte Informationsverarbeitung: Menschen können nur eine bestimmte Menge an Informationen gleichzeitig verarbeiten. Um komplexe Entscheidungen zu treffen, sind sie auf vereinfachte Modelle oder Heuristiken angewiesen.
    • Kognitive Begrenzungen: Das menschliche Gehirn hat Grenzen hinsichtlich der Fähigkeit, Daten zu speichern, zu analysieren und Entscheidungen zu treffen. So können etwa emotionale Reaktionen oder selektive Wahrnehmung die Entscheidungsfindung beeinflussen.
    • Fehlende vollständige Information: In vielen Entscheidungssituationen haben Konsumenten nicht alle notwendigen Informationen zur Verfügung, um eine perfekte Entscheidung zu treffen. Sie entscheiden oft auf Basis von unvollständigen oder verzerrten Informationen.
    • Zeitdruck: Entscheidungen werden häufig unter Zeitdruck getroffen, was den Entscheidungsprozess weiter vereinfacht und die Genauigkeit der Entscheidung einschränkt.


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    In der Marketing-Praxis hat die Bounded Rationality Theory einige weitreichende Implikationen. Marketer sollten verstehen, dass Konsumenten oft nicht das gesamte Marktangebot rational abwägen. Stattdessen treffen sie ihre Entscheidungen basierend auf einer begrenzten Menge an Informationen und vereinfachten Entscheidungsstrategien. Diese Vereinfachungen können auf verschiedenen psychologischen Mechanismen basieren, wie z.B. Heuristiken und Biases.

    Heuristiken in der Entscheidungsfindung

    Heuristiken sind einfache Faustregeln, die Menschen dabei helfen, schnelle Entscheidungen zu treffen, ohne die Komplexität einer vollständigen Analyse zu durchlaufen. Typische Heuristiken, die im Marketing relevant sind, sind:

    • Verfügbarkeitsheuristik: Menschen neigen dazu, die Wahrscheinlichkeit von Ereignissen basierend auf der Verfügbarkeit von Informationen zu bewerten. Wenn beispielsweise eine Marke häufig in den Medien vorkommt, könnte ein Konsument diese Marke als populär oder vertrauenswürdig wahrnehmen, obwohl er keine vollständigen Informationen über das Produkt hat.
    • Repräsentativitätsheuristik: Menschen schätzen die Wahrscheinlichkeit eines Ereignisses basierend auf Ähnlichkeiten zu bekannten Kategorien. Ein Konsument könnte zum Beispiel davon ausgehen, dass ein teures Produkt auch von höherer Qualität ist, obwohl es keine objektiven Belege dafür gibt.
    • Ankereffekt: Dieser Effekt beschreibt, wie der erste Eindruck einer Entscheidung als Referenzpunkt dient und spätere Entscheidungen beeinflusst. Im Marketing könnte dies durch Preisgestaltung erfolgen – ein höherer ursprünglicher Preis (Anker) lässt den nachfolgenden Rabatt attraktiver erscheinen.

    Diese Heuristiken helfen Konsumenten, schneller zu Entscheidungen zu kommen, sie führen jedoch auch zu Verzerrungen und suboptimalen Entscheidungen.

    Emotionale Entscheidungen und Bounded Rationality

    Neben kognitiven Begrenzungen spielt auch die emotionale Dimension eine zentrale Rolle im Entscheidungsprozess. Studien zeigen, dass Konsumenten oft von Affekten und Gefühlen geleitet werden, was die Entscheidungsfindung weiter vereinfacht. In der Marketingpraxis ist es entscheidend zu erkennen, dass emotionale Reaktionen oft genauso wichtig sind wie rationale Überlegungen.

    Die affektive Prognose, bei der Konsumenten ihre zukünftigen Gefühle vorwegnehmen, kann dazu führen, dass sie Produkte oder Dienstleistungen eher aufgrund von Gefühlen als aufgrund objektiver Bewertungen auswählen. Marketer können diese emotionale Entscheidungslogik durch emotionales Branding oder affektives Marketing gezielt ansprechen.

    Die Rolle sozialer Einflussfaktoren

    Ein weiterer Aspekt der Bounded Rationality ist die Rolle von sozialen Einflussfaktoren. Die Entscheidung, welche Produkte gekauft werden, kann durch den Social Proof oder durch die soziale Bestätigung beeinflusst werden. Konsumenten neigen dazu, Entscheidungen zu treffen, die von anderen Personen (z.B. durch Online-Bewertungen oder Empfehlungen) bestätigt werden. Dies ist eine bewusste Vereinfachung des Entscheidungsprozesses, bei dem der Konsument die Entscheidung anderer als Beweis für die Qualität eines Produkts sieht.

    Im Marketing bedeutet dies, dass Bewertungen, Empfehlungen und Testimonials eine besonders wichtige Rolle spielen, um das Vertrauen der Konsumenten zu gewinnen und ihre Entscheidungsfindung zu beeinflussen.

    Weniger Optionen anbieten

    Eine wichtige Erkenntnis der Bounded Rationality ist, dass zu viele Wahlmöglichkeiten den Entscheidungsprozess erschweren und zu einer Entscheidungsmüdigkeit führen können. Dieser Effekt tritt auf, wenn Konsumenten mit einer Überflutung an Informationen und Auswahlmöglichkeiten konfrontiert werden und schließlich eine Entscheidung vermeiden oder eine suboptimale Wahl treffen. Um dieser Tendenz entgegenzuwirken, sollten Marketer in der Produktgestaltung und im Angebot darauf achten, die Auswahl überschaubar zu halten.

    Ein Beispiel für die Anwendung dieses Prinzips ist das Paradox of Choice, das besagt, dass weniger Optionen zu einer höheren Kundenzufriedenheit und einer schnelleren Entscheidung führen können. In Online-Shops könnte dies bedeuten, die Anzahl an Produkten in einer Kategorie zu reduzieren oder Produktempfehlungen gezielt einzusetzen.

    Nudging und Entscheidungsarchitektur

    Marketer können die begrenzte Rationalität der Konsumenten auch durch Nudging – subtile Beeinflussung der Entscheidungsarchitektur – gezielt lenken. Hierbei werden Konsumenten in eine bestimmte Richtung „gestupst“, ohne dass sie sich dessen bewusst sind. Ein Beispiel für Nudging ist die vorab angezeigte Standardauswahl bei einem Online-Abo-Modell, bei dem Konsumenten die Standardeinstellung beibehalten, auch wenn sie theoretisch die Möglichkeit hätten, eine andere Wahl zu treffen.

    Durch den Einsatz von Choice Architecture lassen sich Entscheidungsprozesse so gestalten, dass Konsumenten automatisch die für sie beste Wahl treffen, ohne sich übermäßig mit der Entscheidung auseinandersetzen zu müssen.

    Verwendung mentaler Abkürzungen

    Neben den oben genannten Heuristiken können Marketer die Bounded Rationality auch durch die gezielte Anwendung von mentalen Abkürzungen nutzen. Dazu gehört beispielsweise das Setzen von Verknüpfungen zwischen Marken und positiven Emotionen oder der Einsatz von Verknüpfungen zu vertrauten und einfachen Konzepten. Der „Zielkonflikt“ zwischen den Vorteilen eines Produkts und der damit verbundenen Anstrengung kann durch einfache und klare Marketingbotschaften reduziert werden.

    Die Bounded Rationality Theory bietet einen wertvollen Rahmen für das Verständnis der Entscheidungsfindung im Marketing. Konsumenten sind nicht immer die rationalen Entscheidungsträger, wie es die klassische Wirtschaftstheorie suggeriert. Stattdessen treffen sie Entscheidungen auf der Grundlage von Heuristiken, begrenztem Wissen und emotionalen Reaktionen. Marketer sollten dieses Wissen nutzen, um ihre Angebote und Kommunikationsstrategien so zu gestalten, dass sie die natürlichen kognitiven und emotionalen Abkürzungen der Konsumenten berücksichtigen und sie in ihrer Entscheidungsfindung unterstützen.

    Eine gezielte Anwendung der Bounded Rationality kann zu effektiveren Marketingstrategien führen, die sowohl den Bedürfnissen der Konsumenten als auch den Zielen des Unternehmens gerecht werden.